Feierabend

Manchmal wach' ich morgens auf und frage mich: Was hab' ich bloß getan
Seit wann ist eigentlich mein ganzes Leben so dermaßen aus der Bahn
Wann hab' ich die Furcht verloren, Fehler zu begehen
Seit wann kann ich mich nicht mehr für sie schämen
An welchem Punkt hab' ich die Lust verloren, für mein Leben
Bewusst Verantwortung zu übernehmen

Manchmal starr' ich morgens vor dem Aufstehen eine Stunde auf die Uhr
So, als stünde dort die Zeit, seit der mein Leben neben der berühmten Spur
Und trotzdem auf so tödlich sture Weise konsequent
Bergab und in die falsche Richtung rennt
Und an jeder Kreuzung, fast als wäre das eine Art Talent
Die falsche Abzweigung nimmt

Manchmal steh' ich morgens auf und wünsche mir, es wäre bereits Abend
Die Zähne putze ich mir in der Dusche, morgens dusche ich gerne warm
Ich mache mir einen Tee im Glas und trinke ihn am Arbeitsplatz
Meist ein weiß lackierter Fensterrahmen
In irgend'nem Hotel im vierten Stock, mit Blick zur Straße
Gebucht mit falschem Bart auf falschem Namen

Und ich stell' mir vor, ich hätte heute früher Feierabend
Vielleicht geh' ich noch schwimmen und ins Sonnenstudio
Ich wünschte, ich hätte heute früher Feierabend, so wie du

Manchmal glaube ich, dass dieser Job im Grunde gar nichts für mich ist
Ich würd' gern was mit Blumen machen, Gartenarchitekt oder Florist
Ich sehe dich durchs Zielfernrohr, du grinst von Ohr zu Ohr
Vielleicht liegt das am Ruhm, der dich umringt
Vielleicht sagt dein Instinkt dir auch, so kommt es mir oft vor
Dass dir die Zukunft bald Erlösung bringt

Am leichtesten fällt mir die Arbeit, wenn es draußen etwas trüber wird
Dann wird nämlich nicht so viel vom Fenster in den Sucher reflektiert
Du verbringst viel Zeit zu Haus', wie hältst du das bloß aus
Ständig so mit dir allein zu sein
Warum bist du so ruhig und warum kommst du da nicht raus
Der Tee scheint immer noch recht heiß zu sein

Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Arbeit ihren Reiz verliert
Dann fallen mir kaum Gründe ein, aus denen man ein Auftragskiller wird
Dann leg' ich kurz die Waffe ab und träume von einem Leben
Das ich noch nicht aufgegeben hab
An diesen Tagen knall' ich dich nur ungern ab und dann auch nur
Damit ich früher Feierabend hab

Ich wünschte, ich hätte heute früher Feierabend
Denn dann geh' ich in ein Eiscafé und danach in den Zoo
Bei diesem Wetter könnte man direkt nochmal nach Bozen fahren
Ich wünschte, ich hätte heute früher Feierabend, so wie du

Manchmal frag' ich mich, wie's wär', wenn ich dich mal nach Feierabend treff
Doch du bist rund um die Uhr im Dienst, dafür bist du dein eigener Chef
Und während ich den Schaft poliere, denke ich bei mir
Wie hirnverbrannt es ist, für die absurde
Illusion sich selbst bisweilen die Arbeitszeit frei einzuteilen
Zu akzeptieren, dass man zum Monster wurde

Die Tee ist wieder kalt und dabei habe ich ihn nicht mal angerührt
Manchmal denke ich, dass es erbärmlich ist, dass mich das nicht mehr stört
Im Dämmerlicht erkenne ich dich jämmerlich am Fenster sitzend
Du tust, als würdest du nach draußen starren
Ich flüstere: Mach dir nichts vor, du hoffst noch, doch durchs Zielfernrohr
Sind ferne Ziele immer näher dran

Manchmal sehe ich sogar durchs Zielfernrohr, wie du das Bad benutzt
Dann fällt mir auf, dass du genau wie ich die Zähne in der Dusche putzt
Vielleicht bildest auch du dir ein, dass du das nicht nur tust
Damit du dich nicht mehr im Spiegel sehen musst
Und dass wir was gemeinsam haben, hilft mir bis zum Feierabend
Einer von uns hat heut' früher Schluss

Ich wünschte, ich hätte heute früher Feierabend
Ich wasch' das Auto, später hab' ich noch ein Rendezvous
Vielleicht geh' ich die Stadt erkunden, nehme endlich Schauspielstunden
Lerne Spanisch, Segelflug, Trompete und Kung Fu

Oh, ich werde den Roman beenden, ich lern' die Nachbarn besser kennen
Ich wollt' schon immer Perlentauchen, ich kam nur nie dazu
Im Garten einen Teich zu graben, ich streich' das Haus in frohen Farben
Ich wünschte, ich hätte heute früher Feierabend
So wie du



Credits
Writer(s): Jan Baumann
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