Ich bin kein gewalttätiger Mensch

Ob wir hin schauen oder nicht, wir alle wissen, dass es passiert
Ein Fuchs legt sich im tiefsten Schatten des Grases auf die Lauer
Schon lange hat er seine Beute fest im Visier
Er wartet, kalkuliert und wägt den richtigen Moment ab
Ist er sich sicher
Dass seine Beute auf den Schutz der Nacht vertraut
Verlässt er sein Versteck
Präzise beißt er zu und überwältigt den Hasen
Zu dessen Verhängnis
Niemand sieht gern hin, vor allem Hasen nicht
Wenn es sich vermeiden lässt, senken sie ihren Blick und eilen hinaus
Hauptsache weg vom Ort des Geschehens
Was im blutverschmierten Schatten passiert
Hat keinen Platz unter der Sonne
Kein Raum für Gewissensbisse

Die pechschwarze Nacht ist in voller Blüte
Ein Genuss für jeden, der noch auf ist und sie erfassen kann
Scheinbare Stille sorgt für Wachsamkeit unter den Beutetieren
Die, aus Not oder Neugierde, zu später Stunde umtriebig sind
Jeder Windhauch
Jeder abgebrochene Ast
Jeder Atemzug wird abgewogen
Ist jemand da?
Wer bist du?
Freund oder Feind?

Vorsicht rät dazu Umwege zu gehen, den Schatten zu meiden
So kommt unsere Bühne zustande
Wir sind ihre Schauspieler und wir bewegen uns wie im Wahn
Auf den Höhepunkt des dritten Aktes zu
Das Rascheln der Blätter unter uns kreist uns ein, wie eine Klangwand

Ein Mahnmal, das jedem Schaulustigen der sich ihm nähert
Unmissverständlich zu verstehen gibt
Hier lauert ein Jäger
Wir stehen einander gegenüber
Seine Augen spiegeln meine Anspannung und Vorsicht
Wir beide warten, kalkulieren und wägen ab
Uns stellt sich eine einzige Frage
Wer von uns beiden ist der Fuchs und wer ist der Hase?

Ich bin kein gewalttätiger Mensch

Letzte Nacht habe ich gegen einen fremden Mann gekämpft
Auf Leben und Tod
Wir haben miteinander gerungen, seine Kraft gegen meine
Verzweifelt gingen wir aufeinander los, wie Tiere
Und in mir stieg langsam aber sicher die Gewissheit
Sein Wiederstand schwindet
Ich bin stärker
Mein Plan war klar und ohne eine Spur des Zweifels wusste ich
Dieser Mann muss bewegungsunfähig gemacht werden
Ich stieß meinen Kopf gegen seinen, bis er ohnmächtig wurde
Als er zu sich kam lag sein Schicksal in meiner Hand
Er, ein geschwächtes Beutetier
In den Fängen seines Jägers
Reduziert zum Spielball
Er flehte um sein Leben
Ich erwiderte seine Verzweiflung und in einer präzisen Bewegung
Hob ich ihn empor in die Luft und schmiss ihn aus dem Fenster

Im Traum
Das ganze habe ich geträumt
Ich hatte gute Gründe für mein Verhalten, das weiß ich genau
Der Mistkerl hatte es verdient
Ich weiß nur nicht mehr warum
Er wollte mir ans Fell, aber er kam nicht dazu
Es hieß entweder er oder ich
Das Blatt hatte sich gewendet
Sein Leben lag in meiner Hand und das Opfer war kein Oper mehr
Warte
Was war ich dann?
Täter?
Nein

Ich bin kein Täter
Wenn überhaupt bin ich Gejagter
Bin ständig auf der Hut
Das Nervensystem in permanenter Alarmbereitschaft
Bin ich bereit zur Flucht
Den Blick wachsam, nehme ich mein Umfeld genaustens wahr
Du bist mein Freund?
Wirklich?
Wie kann ich mir sicher sein?
Besser, wenn ich vorsichtig bin
Besser ich schütze mich und sage dir das, was du hören willst
Ich bin ein soziales Chamäleon, dass sich tarnt und du
Du hilfst mir dabei die richtige Farbe anzunehmen
Wisse eins
Wir sind unterschiedlich
Nein, wir begegnen uns nicht auf Augenhöhe
Ich beobachte, ich berechne und ich lege jedes Wort auf die Waagschale
Schätze das Risiko für jeden Satz ab, den ich laut ausspreche
Die Gedankenmaschine wird versteckt
Denn ich darf keine Aufmerksamkeit auf mich lenken
Erst recht keinen Verdacht

Wie ein Fuchs der geduldig auf der Lauer liegt
Bleibe ich unscheinbar
Bis ich angreife
Meine Beute fest im Visier
Kalkuliert und kalt
Ich bleibe wachsam

Erst wenn du dich fallen lässt
Fühle ich mich sicher
Sicher genug um aus meinem Versteck hervorzukommen
Ich nutze dein Vertrauen und beiße gezielt zu
Ich stelle mich keinem Konflikt
Nein, drehst du mir den Rücken zu, schmeiße ich dich aus dem Fenster
Aus den Augen aus dem Sinn, schnell und einfach
Dass du benutzt wurdest, erkennst du erst kurz vorm Aufprall

Nein, ich bin kein gewalttätiger Mensch

Nein, ich bin kein gewalttätiger Mensch



Credits
Writer(s): Polichronis Muratidis
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