The Chronicles of Kronstadt

Ich versinke im Eis von Kronstadt
Ich liege unter dem Pflaster von Paris
Ich klebe an den Mauern Warschaus
Ichi steh' versteinert in Berlin
Ich liege in den Strassen Barcelonas
Ich falle im Kugelhagel
Der weissen Garden
Ich liege im Schnee Petrograds
Lieg' verscharrt in den Waldern Perus
Ich verblute in Spaniens Sand
Ich liege in der ukrainischen Steppe
Ich friere in Sibirien
Aufgerieben zwiscihen Hammer und Kreuz
Ich rette mich ubers Meer
Und mich frostelt es auch dort
Man schickt mich zuruck
Man schickt mich fort
Man verbannt mich
Man trostet sich mit Sicherheit
Uber mich hinweg
Ich liege im Hafen von Odessa
Liege garrotiert in Leon
Zerfleischt von den Bluthunden
Der neuen Ordnung
Ich fliesse aus aufgebissener Gurgel
Ich bin der Schrei
Der aus der Steppe aufsteigt
Der vom Meer heruberseht
Zu selten drange ich mich in Zirkeln
Zentren, Flugeln
Und auch mein Freundlichseinwollen
Ist gezeichnet vom langen Kampf
Mit der Brutalitat
Vom Versteck, vom Hinterhalt
Von der Vorstellung und der Luge
Ich spreche in sperriger
Vielstimmigkeit
Icih bin Steppenbrand
Bin Gerucht, Teil und Grund
Und nun fuhrt dich deine Suche nach mir
In das Exil besiegter Revolutionen
In entlegene Dorfer
Der franzosischen Provinz
In brusseler Mansarden
In Dachwohnungen
In Amsterdam und London
In die Hinterhofe Barcelonas
In die Scheunen der Gascogne
Meine Spur ist verwischt
Vergilbt, zerfleddert
Fast vergessen
Sparlich bleibt das
Was die Broschuren und Traktate
Flugblatter und Reportagen
Essays und Biografien
Reden und Memoiren
Von mir zu berichten wissen
Ich liege im Bombenkeller verscharrt
In improvisierten Verstecken
Und Bunkern
Zwischen Zeitungen
Und falschen Wanden
Hinter Portraits versteckt
In den Kellern der Verbannung
Finden sich nur Reste
von Verschworung
Vom Leben im Untergrund
Von der unsterblichen Kameradschaft
Und Hoffnung
Was du hier geschrieben findest
Ist durch tausend heimliche
Hande gegangen
Weitergereicht
Durch Generationen hindurch
In uberlieferten Einsichten
In Dekreten und Zeugenberichten
In heimlich weitergereichten
Exemplaren
Illegaler Druckschriften
In Manifesten
In halb verschollen Zeitungen
In bruchigen Konvoluten
Voll totgeglaubter Buchstaben
in sparlichen Andeutungen
Findet sich dann doch immer noch
Etwas von meinem schwarzen Gewebe
Das uns einst alle umspann
Suchst du nach Zeugnissen
Deiner Vorkampfer?
All dies kann nur Fragment bleiben
Man bleibt allein
Und doch in jedem Atemzug von dieser
Totalitat umfangen
Doch wie willst du mich
In Schrift fassen?
Wie willst du Wanderer
Mir eine Stimme geben?
Diesem Rauch eine Form?
Wie diese Luft kodifizieren?
Und wer will nun
Deutungshoheit erlangen?
Wer Endgultigkeit errichten?
Ist es schade um die Menschen? Ist es?



Credits
Writer(s): Jérôme Reuter
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