Über das Zerreden

Und jetzt sitzt du da mit deinem Sidecut
und hochgekrempelten Hosen.
Das Karomuster deines Holzfällerhemds
beißt sich mit dem grauen Schal und
du sitzt auf neuen Sofas mit
altem Look auf lackierten Dielen,
die den Raum so hölzern machen
wie deine Mimik
(oder alternativ deinen Schädel).
Trägst runde Brillen, trinkst Fritz Kola
und Mate durch 'n Strohhalm in'n Strohkopf.
Den hältst du schief.
Dein Mundwinkel, der hängt wie deine Augen,
da sind ein paar Lachfalten,
lange nicht mehr benutzt.
Die Glühbirne hinter dem
Lampenschirm spendet Licht,
wirft den Kegel auf deine braunen Schuhe
mit den langen Schnürsenkeln und
die Kiste, die inmitten des Raumes steht.
Und den kleinen Globus,
der leicht verstaubt und doch präsent
die raue Oberfläche dieser Kiste ziert.
Auf dem Fenstersims ein
Strauß vertrockneter Blumen
und daneben eine erstochene Metapher.

Unsere Köpfe sind voll,
voll von allem, und darüber reden wir.
Durcheinander, erhitzt und immer wieder paradox,
obwohl wir doch eigentlich so stolz sind.
Hören nicht mehr wirklich zu,
weil wir ja sonst nicht zu Wort kommen.
Wir haben nicht wirklich eine Ahnung,
aber von allem eine Meinung.
Und die muss raus, mein Gott,
ja, wo soll die auch hin?
Und dann werden wir hitzig,
und die Dielen unter unseren Füßen werfen Späne.
Und ich hab gehört,
dass die Wahrheit einem durch
Mark und Bein fährt.
Und durch das lebhafte Ding,
das einen monatelang unter
den Rippen pochend am Leben hält
und nun irgendwo zwischen
Hosenbein und Perserteppich liegt.
Und die Leute dann irgendwann rumschreien.
Manche offen, auf den Dielen,
andere hinter verschlossenen Hoteltüren
mit braunem Teppichboden und
verstaubten Matratzen voller Milben.
Weit weg von daheim,
wo einen keiner auffangen kann.
Und es passiert eben ausgerechnet hier.
Und diese ekelhafte Gänsehaut,
die nicht von Kälte kommt und
doch so scheiße kalt ist,
weigert sich hartnäckig,
das Rückgrat zu verlassen.

Und das fühlen wir.
Wir fühlen vor uns hin und
dann packen wir das in kleine Wortpakete
und dann feuern wir den Clown
aus der Kanone quer durch die Manege
und hoffen, dass das Publikum vielleicht lacht.
Aber das lacht nicht,
weil es gerade selbst Kanonen schießt
und alle durcheinander reden,
über ihre Meinung.
Und die muss raus, mein Gott, ja, wo soll die auch hin?

Dreh die Zeit zurück.
Zwanzig, dreißig, vielleicht vierzig Jahre.
Wirf einen Blick auf das verschlafene Nest,
den alten Hof. Die alten Männer.
Sonnengegerbte Haut,
spielen Karten auf der Terrasse.
Und alles wie durch einen gelben Sonnenfilter gejagt,
aber alles gut so, wie es war.
Alles bisschen langsamer.
Bisschen weniger laut.
Bisschen weniger schnell.
Zwar bisschen weniger ehrlich.
Aber bisschen weniger fremd.
Und bisschen mehr daheim.
Da waren keine Globusse,
keine Wortstürme
und Gedankenschilder,
keine flackernden Schirme
und vielleicht war das gar nicht so verkehrt.

Und wir erheben hier die Hände,
runzeln die eingefallene Stirn
mit abgedeckten Kästen um uns herum
wie in den Wahlkabinen.
Reden über das Zerreden.
Kommen auf keinen Nenner,
obwohl wir doch alles kalkuliert haben.
Die Schals sind verrutscht,
die Flaschen mit den Strohhalmen
längst umgefallen.
Alles fließt heimlich zwischen die Dielen.
Und alle schreien und niemand sagt was.
Dabei ist das doch unsere Meinung.
Und die muss doch raus,
mein Gott, ja, wo soll die auch hin?

Wie ein Theaterstück, letzter Akt fertig,
roter Vorhang, Standing Ovation,
Jubelrufe für den zerredenden Mob,
der sich in Starallüren kleidet.
Ich warte drauf, meinen Fuß wieder
auf vertrauten Asphalt zu setzen.
Nur für einen Bruchteil einer Sekunde
den bekannten Geruch des Windes
vor der Tür zu verspüren.
Und mich endlich wieder in
meinem kleineren Dunstkreis zu wissen.
Schlauheit ist nicht immer weise.
Reden auch nicht Silber,
sondern manchmal nur Granit.
Wer zu viel brüllt,
der wird heiser.
Man kann vergessen,
dass man Dankbarkeit vergessen kann.



Credits
Writer(s): Kilian Mohns, Micha Kunze
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