Vor der Tür

Lina zaubert Leben in den Block auf ihrem Schoß,
die Striche tanzen außer Rand und Band.
Aus ihnen wächst ein Drache. Der speit Feuer und fliegt los.
Es bleibt ein Hauch von Ruß auf ihrer Hand.

Monis Enkel Tobi wurde vor'ge Woche zehn.
Beim letzten Treffen war er grade drei.
Man sah sie am Geburtstag vor dem Haus der Tochter stehn.
Doch die rief wieder mal die Polizei.

Daniel denkt positiv und nimmt das Leben leicht,
mit Charme und breitem Lächeln im Gesicht.
Er glaubte mal, dass sicher auch die halbe Miete reicht.
Nur sein Vermieter glaubte das wohl nicht.

Durch die eisklare Nacht mit dem Bus.
Hier wird nicht kontrolliert,
damit niemand erfriert.
Es geht weiter, weil's irgendwie muss.
Die Sitze sind hart, doch dafür
bleibt der Winter für einen Moment vor der Tür.

Stefan hatte endlos viele Herzen operiert –
viele davon schlagen noch bis heut.
Wäre ihm doch bloß der eine Fehler nicht passiert,
den er seither Tag für Tag bereut.

Peter kann bis heut im Schlaf Gesetze diskutiern –
als Anwalt war er engagiert und fair.
Nun weiß er, wie es ist, nicht nur Prozesse zu verliern,
denn seine Frau fehlt ihm noch immer sehr.

Nach Prozessen traf er Karl, der putzte am Gericht,
sie wechselten so manches nette Wort.
Längst schon kommen Zeitarbeiter für die Abendschicht.
Karl ist so wie Peter nicht mehr dort.

Durch die eisklare Nacht mit dem Bus.
Hier wird nicht kontrolliert,
damit niemand erfriert.
Es geht weiter, weil's irgendwie muss.
Die Sitze sind hart, doch dafür
bleibt der Winter für einen Moment vor der Tür.

Helga lebt seit langem schon in ihrer eignen Welt
und summt dasselbe Lied, tagein, tagaus.
Michael hingegen lebt am Fluss in einem Zelt.
Er hat nicht viel, doch macht das Beste draus.

Die Einkaufstüte unterm Sitz links hinten ist von Claire.
Ihr Platz ist schon seit ein paar Tagen leer.

Durch die eisklare Nacht mit dem Bus.
Hier wird nicht kontrolliert,
damit niemand erfriert.
Es geht weiter, weil's irgendwie muss.
Die Sitze sind hart, doch dafür
bleibt der Winter für einen Moment vor der Tür.